REISETAG 111 – EIN FAZIT

Heute vor genau 111 Tagen sind wir mit unseren Wohnwagen aus Südhessen in ein neues Kapitel gerollt. Seitdem haben wir Slowenien erkundet, sind in Kroatien so richtig angekommen, haben ?sterreich lieben gelernt, in Italien die Oma getroffen, in Frankreich Muscheln gegessen und gerade lernen wir spanisch, weil wir hier wohl einige Wochen verbringen werden.  In letzter Zeit h?ufen sich die Nachfragen von Familie und Freunden, ob wir unsere Reise noch genie?en, es nicht langsam zu eng wird auf unseren 14 qm, was wir vorhaben im Winter und überhaupt wie sich alles so nach fast vier Monaten unterwegs sein anfühlt. Also nehmen wir mal die 111 Tage-Schnapszahl zum Anlass, ein kleines Fazit über den ersten Teil unseres Abenteuers zu ziehen.

Wir schaukeln unser Campingleben richtig gut.

Sind wir nach wie vor glücklich mit unserer Entscheidung?

Definitiv. Es gab im Vorfeld viele Fragezeichen und wir konnten nur erahnen, ob sich ein Leben auf Reisen und im Wohnwagen langfristig gut anfühlt. Bisher sind wir aber einfach nur glücklich, dass wir mit unserem Bauchgefühl richtig lagen und wir ein Leben auf 14 statt auf 144qm Wohnfl?che nicht beklemmend, sondern sehr befreiend finden. Wir wissen nicht, wie lange diese Reise gehen oder wo sie enden wird. Aber schon für die vielen unvergesslichen Erlebnisse der letzten Monate h?tte sich der Aufwand im Vorfeld gelohnt, denn die exklusive Zeit in Familie empfinden wir als ein wundersch?nes Geschenk an uns selbst und sie hat uns alle auf einer ganz neuen Ebene zusammengeschwei?t.

Allein die Vorstellung, dass wir die Kinder früher zwischen 7.30 und 16 Uhr nicht bei uns hatten, dass wir alle vier eigentlich nur zum Frühstück und Abendbrot zusammensa?en (und wir wissen, das ist Luxus, viele V?ter kommen heim, wenn die Kinder schlafen) – das fühlt sich hier und jetzt so unwirklich an, dass wir uns tats?chlich jeden Tag über unsere gemeinsame Zeit freuen und regelm??ig zu diesem Schritt beglückwünschen. Die Versuchung, diese Reise nicht zu tun, war bei all dem Aufwand, den bürokratischen Hürden und auch dem zwischenmenschlichen Gegenwind sehr gro?. Die Zufriedenheit, es trotzdem getan zu haben und jetzt von den Vorteilen dieses freien Lebens profitieren zu k?nnen, ist noch viel gr??er und l?sst gerade uns Gro?e immer mal wieder ganz gefühlsduselig werden. Zum Beispiel wenn wir morgens mit unseren Kindern im Sonnenschein frühstücken und sie danach nicht hektisch in ihren Alltag schubsen, sondern zum ausgiebigen Kuscheln auf den Scho? nehmen. Oder ganz früh den Sonnenaufgang in Spanien bestaunen. Diese besonderen Momente wissen wir zu sch?tzen, denn wir kennen es anders.

Halb 8 zusammen Sonnenaufgang schauen statt auseinandergehen.

Ist es auf Dauer nicht zu eng im Wohnwagen?

Wo Kinder sind, ist Chaos. Und es ist erstaunlich, wie schnell auch im Wohnwagen eben noch freie Fl?chen von Spielfiguren, Schlafanzughosen oder Einh?rnern erobert werden. Nur braucht man fürs Aufr?umen dann nicht wie früher locker 2 Stunden, sondern h?chstens 20 Minuten. Unser Umzug in eine Ferienwohnung in Italien hat uns allen auf jeden Fall deutlich gemacht, wie sehr wir mittlerweile an unserem dicken ?Obelix“ h?ngen und wie ungern wir irgendwo anders schlafen. Diese 14qm sind unser gemütlicher Rückzugsort und egal wo uns die Reise gerade hinführt – wenn wir die Tür hinter uns schlie?en, sind wir zuhause und es sieht immer gleich aus – selbst wenn sich das Panorama vorm Fenster immer wieder ver?ndert.

Zudem spielt sich das Leben natürlich zu 95% drau?en ab. Den Stellenwert, den früher das Kinderzimmer hatte, muss der Wohnwagen also gar nicht haben. Denn genau genommen verbringen wir eigentlich nur die N?chte, zum Teil die Mittagspause und die Regentage drinnen. Au?erdem bekommen wir durch unser ger?umiges Vorzelt zus?tzliche Fl?che zum Essen, Spielen und Chaos verbreiten. Insofern hatten wir bisher tats?chlich und ganz ehrlich noch keinen einzigen Moment, in dem wir unsere gro?e Wohnung vermisst haben. Wahrscheinlich w?re es anders, wenn wir statt 24 nur noch 14 Grad oder eine anhaltende Regenphase h?tten. Womit wir aber zur überhaupt besten Eigenschaft des Wohnwagens kommen: Wenn das Wetter so richtig schlecht wird, l?sst er sich leicht in eine sonnige Gegend ziehen. Hier in Katalonien wollten wir eigentlich bis Ende Oktober bleiben. Nun kommt n?chste Woche aber ein Tief, also geht es für uns schon morgen Richtung Andalusien. Dem Sommer hinterher quasi.

Wenn wir sagen, wir gehen nach Hause, wissen alle, was gemeint ist.
Man kann im Wohnwagen sogar H?hlen bauen…
…oder alles umbauen und drinnen bei Regen zusammensitzen.

Was ist schwerer als gedacht?

Wir hatten viele Pl?ne und Vorstellungen bezüglich unserer Tagesgestaltung, aber mit zwei (in den Ferien drei) Kindern muss man sich eingestehen, dass in jeder Welt ein gro?er Teil der Zeit für die ganz allt?glichen Dinge wie einkaufen, kochen, Geschirr s?ubern, oben beschriebenes Chaos beseitigen etc. verwendet wird. Zudem sind wir beide weiterhin berufst?tig und unterrichten unsere Kinder weitestgehend selbst. Es ist also sehr viel schwerer als gedacht, all diese Pl?ne, Wünsche und notwendigen T?tigkeiten in einem Tag unterzubringen.

Und es ist gar nicht so einfach, diesen Tag ohne jeglichen Einfluss von au?en konsequent und für alle berechenbar zu gestalten. Auch wenn Schule, Kindergarten, Beruf, Sport-AG, Verabredungen etc. hier und da Stress bedeuten – diese ?Programmpunkte“ bieten auch Orientierung und strukturieren den Tag, ohne dass man etwas in Frage stellt. Da wir zwei Erwachsene eigentlich keine gro?en Fans von Routine sind, f?llt es uns nun umso schwerer, eben diese Routine zu etablieren. Denn genau die ist in unserer neuen Welt n?tig, um nicht jeden Tag von neuem zu überlegen, was wann wie getan wird. Das kostet uns Eltern n?mlich ordentlich Energie und macht auch die Kinder unruhig und orientierungslos. Also müssen wir hier mehr denn je auf die Einhaltung von bestimmten Punkten pochen, auch wenn wir das früher nicht so eng nahmen.

Das normale Leben hatte uns mit seiner Taktung so im Griff, dass wir in unserer Freizeit umso selbstbestimmter sein wollten. Heute wiederum gibt uns das Leben alle Freiheiten und wir müssen feststellen, dass das ohne Routine und Struktur schnell im Chaos endet. Hei?t also zum Beispiel, dass jetzt Dinge ihren festen Platz haben M?SSEN (ich fand es früher immer sehr befremdlich, wenn Menschen genau wussten, wo sie Kugelschreiber oder N?hzeug aufbewahren?) und dass es auch feste Zeitpunkte für bestimmte T?tigkeiten geben muss – egal, ob wir gerade in Italien, Spanien oder Frankreich sind. Nur leider bringt jeder Ort neue Bedingungen mit sich. Nicht so leicht.

Wie in einer normalen Woche gibt es natürlich auch bei uns ?freie Tage“, an denen wir uns treiben lassen. Aber wie hei?t es so sch?n – man w?chst mit seinen Aufgaben. Wir geben uns jedenfalls gro?e Mühe.

Vormittags ist Lernzeit.

Was ist einfacher als gedacht?

Eine unserer gr??ten Bedenken war es tats?chlich, 24 Stunden am Tag in Familie zu sein. Der Gedanke an sich ist eigentlich schon krass, denn mit wem, wenn nicht mit der eigenen Familie sollte man die ganze Zeit zusammen sein wollen?! Aber wir konnten uns beide an Tage erinnern, an denen wir froh waren, als die Kinder im Bett lagen oder mal zwei Stunden bei Freunden verbrachten. Und das, obwohl wir ja mit Schule, Kindergarten und Beruf schon sowieso oft getrennt voneinander waren. In unserem neuen Leben ist das Zusammensein insgesamt sehr viel entspannter. Vielleicht, weil Micha nicht erst abends aus Frankfurt zu uns st??t, vielleicht weil jeder von uns am Ende des Tages einfach nicht so reizüberflutet und ersch?pft ist wie wir es früher waren. Vielleicht auch, weil wir alle weniger getrieben sind und es dadurch schlichtweg weniger Konfliktpunkte gibt. Wenn Len im Schlafanzug frühstücken m?chte und Pauline noch müde ist, muss ich sie auch mittwochs nicht vom Gegenteil überzeugen. Davon abgesehen spielen unsere Kinder auf der Reise sehr intensiv miteinander, k?nnen sich gerade auf Campingpl?tzen in der Regel frei bewegen und sind mittlerweile so extrovertiert, dass sie eigentlich überall schnell Freunde finden und gern auch mal l?ngere Zeit ohne uns auf Entdeckungstour gehen.

Freunde zum Spielen und liebe Menschen trifft man überall.

Haben wir uns ver?ndert?

Tats?chlich fühlen wir uns nicht viel anders als im Juni. Wir haben seitdem viele Eindrücke gesammelt, jede Menge inspirierende Menschen getroffen und Gespr?che geführt und uns in unserem Campingleben sehr gut eingerichtet. Aber wir lachen am Frühstückstisch immer noch über die gleichen Witze, h?ren bis auf einige Neuentdeckungen dieselbe Musik und kochen nach wie vor die Lieblingsgerichte unserer Kinder.

Davon abgesehen sind wir aber allesamt sehr viel extrovertierter geworden. Wenn wir spannende Menschen treffen, warten wir nicht wie früher auf eine geeignete Gelegenheit, sondern beginnen einfach ein Gespr?ch. So haben sich schon viele sch?ne Begegnungen und Freundschaften entwickelt. Das h?tten wir uns früher auf dem Spielplatz in Hessen so nicht getraut.

Und wir sind hoffentlich toleranter geworden. Unser erster Eindruck hat sich in den letzten Monaten so oft nicht best?tigt, dass wir es mittlerweile wirklich vermeiden, Situationen, Orte oder Menschen vorschnell einzuordnen. Damit fahren wir sehr gut. Au?erdem fühlt es sich mittlerweile v?llig okay an, ein Leben zu führen, das andere nicht verstehen. Da hatte gerade ich (Bine) früher oft den Impuls, zu erkl?ren und zu rechtfertigen. Mittlerweile bin ich sehr viel entspannter, weil ich wieder einmal die Erfahrung gemacht habe, dass es gut ist und sich lohnt, auf Bauch und Herz zu h?ren.

6 Comments
  1. Jean Belles-Baumann 4 Jahren ago

    Liest sich wie immer hochinteressant und l?sst mich schon mit „Neid“ auf dieses, euer momentanes Leben, nach der Lektüre eures Blogs zurück.

    Eine Frage dr?ngt sich mir auf: seid ihr durch Frankreich nur durchgefahren? Gibt es von Frankreich noch mehr von euch zu berichten, als dass ihr Muscheln gegessen habt?

    Ganz liebe Grü?e von Jean

    • Bine 4 Jahren ago

      Huhu liebster Jean. Wir werden noch mal was zu Frankreich schreiben, w?ren aber tats?chlich nur eine Woche dort. Die letzten Jahre wie du wei?t umso h?ufiger. Da wollten wir dieses Mal nicht schon wieder h?ngen bleiben.. ?

  2. Bernadette 4 Jahren ago

    Hallo Sabine, toller Blog. Du *kannst* aber auch schreiben. Sehr offen und reflektiert, da nehme ich selber was von mit. Ich wünsche euch weiterhin eine so sch?ne Zeit und folge euch ?. Liebe Grü?e Bernadette

    • Bine 4 Jahren ago

      Dank dir, liebste Bernadette. Das freut mich sehr!! Fühl dich gedrückt.

  3. Susanne Messerschmidt 4 Jahren ago

    Es freut mich das es Ihnen allen so gut geht. Ich lese begeistert mit….immer ein L?cheln im Gesicht…ich wünsche weiterhin eine Gute Reise….LG

    • Author
      bine 4 Jahren ago

      Das freut uns, vielen lieben Dank für die guten Wünsche und sonnige Grü?e in die alte Heimat.

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