ADIEU THERMOMIX

Es gibt so Dinge im Leben, da fragt man sich hinterher: Krass, wie konnte das passieren? Wie konnte es soweit kommen? Das denkt man vielleicht nach einem Autounfall, nach dem Besuch eines furchtbaren Konzertes oder vielleicht auch beim Betrachten eines Gegenstandes, der so gar nicht zu dem Bild passen will, das man von sich selber hat.
Bei uns war es der Thermomix. Ich m?chte gleich vorwegschicken, dass ich pers?nlich nichts gegen den Thermomix an sich habe oder gegen Liebhaber dieses Ger?tes. Es ist nur einfach so, dass der Thermomix für uns über Nacht zum Symbol für unser eigenes „Einknicken“ in einer durch Konsum getriebenen Gesellschaft geworden ist. Wie es so weit kommen konnte, versuche ich mal im Folgenden darzustellen.
Leckeres, gesundes Essen im Handumdrehen und ohne jegliche Kochkenntnisse. Wer k?nnte dazu schon nein sagen? Speziell wenn man selber nicht zu den Menschen z?hlt, die den Kühlschrank aufmachen und denken: Aha…Tomaten, Gurken, Kapern, Senf…das wird ein 1A Leckerbissen XY! Ich denke dann eher so: Oh verdammt, hat der Rewe noch auf?
Dennoch hatten wir viele Jahre mit unseren Kindern überlebt und auch die Mangelerscheinungen in der Familie hielten sich in Grenzen. Und jedes Mal, wenn ich einen Thermomix in einer schicken Küche eines Neubauhauses sah, dachte ich mir, ob das jetzt unbedingt auch noch sein musste. Aber lecker war’s schon. Und dann kam wie aus dem Nichts die Bitte, Bine m?ge an einem dieser „Thermomix-Verkaufsabende“ teilnehmen. Und ich sagte Bine: „Komm blo? nicht mit so einem Ding zurück“. Und sie kam zurück. Ohne Thermomix. Aber mit Begeisterung. Denn nach dem Abend machte das Ding pl?tzlich Sinn. Man konnte alles selber im Handumdrehen herstellen und sich auch mal an richtig „schwierige“ Gerichte wagen. Also haben wir das Teil gekauft. Für viel Geld. Mit Ratenzahlung.
Und haben wir es bereut? Eigentlich nicht. Denn der Thermomix ist tats?chlich toll. Wir haben ganz viele neue Rezepte ausprobiert und es war praktisch, lecker, gesund und ganz einfach. Und dennoch blieb ein (nicht im w?rtlichen Sinne) fahler Beigeschmack.
Das Problem war die Erkenntnis, dass wir nun viel Geld für ein Ger?t bezahlt hatten, das uns überhaupt nicht schlauer machte. Im Gegenteil. Das war Kochen im „Beifahrermodus“. Es war ein kompliziertes Ger?t welches versprach, in unserer komplizierten Welt ein wenig Zeit zu sparen. Der Thermomix konnte dieses Versprechen sogar einl?sen. Denn wir konnten jetzt aufw?ndige Gerichte kochen und mussten nicht mal die ganze Zeit am Herd stehen. Also eigentlich eine tolle Sache.
Warum wurde der Thermomix dann also zum Symbol für etwas, das wir nicht mehr wollten? Weil er nur in einem komplizierten Leben unter Zeitdruck Sinn macht. Warum sollte man sich entscheiden, Hühnerfrikassee in einem beheiztem Mixer zuzubereiten statt die eigene Mutter zu fragen, wie sie das so lecker hinbekommt? Weil uns einfach die Zeit und Geduld fehlt, stundenlang am Herd zu stehen. Denn wenn wir die Zeit h?tten, dann würden wir das leckere und gesunde Essen doch viel lieber so zubereiten, dass wir keine teure Küchenmaschine dazu brauchen. Einfach nur 2 T?pfe, die richtigen Zutaten und ein Rezept. Und hinterher wüssten wir dann auch, wie man „wirklich“ Hühnerfrikassee kocht.
Zeit ist in unserem Leben zum wichtigsten Rohstoff geworden. Wir müssen uns jede freie Minute abtrotzen und diese Minuten waren uns dann zu heilig, um übertrieben lang in der Küche zu stehen. Unsere erste Reaktion darauf war der Kauf eines Thermomix. Ein halbes Jahr verbrachte er in unserem Haushalt, bis wir realisiert hatten, dass wir nicht bei allem schneller werden müssen, sondern dass wir einfach mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben brauchen. Und wenn wir diese Zeit haben, dann brauchen wir auch keine Wundermaschine, sondern kochen lieber selbst. Wir haben unseren Thermomix im Januar verkauft. Wir wünschen ihm alles Gute. Auch wenn er einer der ersten Gegenst?nde war, die unser Leben verlassen mussten.